Eckpunkte zum Sofortprogramm Kranken- und Altenpflege vom 23.05.2018

Eckpunkte zum Sofortprogramm Kranken- und Altenpflege vom 23.05.2018 (Stand: 28.05.2018)

A: Kritische Würdigung des Eckpunktepapiers
Das durch Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vorgestellte Eckpunktepapier für ein Sofortpro-gramm, das die „Personalausstattung“ und die „Arbeitsbedingungen“ in der Kranken- und Altenpflege verbessern soll, enthält einige gute Ansätze, die – eine sachgerechte Implementierung der oftmals nur vage ausformulierten Maßnahmen vorausgesetzt – sicher langfristig eine Verbesserung der Situation in der Pflege bewirken können. Kurz- bis mittelfristig wird sich der sogenannte Pflegenotstand dadurch jedoch nicht beheben lassen. Dafür kommen die vorgeschlagenen Maßnahmen 10 – 15 Jahre zu spät. So nützt es nichts zusätzliche Stellen in der Pflege zu schaffen und die Personalschlüssel zu erhöhen, wenn diese gar nicht mehr besetzt werden können. Die aus den Eckpunkten hervorgehende Erkenntnis, dass Pflegende „eine tiefe Vertrauenskrise“ durchlaufen, ist erfreulicherweise mittlerweile in der Politik angekommen. Die Einsicht kommt aber reichlich spät, nämlich zu einem Zeitpunkt, zu dem die Krise bereits manifest ist – und nur schwer zu beheben sein wird, denn nichts ist schwerer wiederherzustellen als enttäuschtes Vertrauen.

Der Pflegenotstand spitzt sich derweil immer weiter zu. Je nach Schätzung wird von 100.000 bis 150.000 zusätzlich benötigten Stellen in der Pflege ausgegangen, mit teilweise gravierenden Folgen. Kliniken müssen vorrübergehend ganze Stationen schließen. Ambulante Pflegedienste sehen sich dazu gezwungen Kunden abzulehnen. Pflegeheime können zweitweise nur noch eine eingeschränkte Versorgung aufrechterhalten. Die Gründe zeigen sich mehrdimensional. So hat einerseits die Nachfrage nach pflegerischen Dienstleistungen zugenommen, insbesondere durch eine veränderte Einstellung gegenüber formellen Pflegeangeboten, die Einführung der Pflegeversicherung und die steigende Anzahl älterer pflegebedürftiger Menschen. Andererseits zeichnet sich der Arbeitsmarkt in der Pflege durch einen hohen Anteil Teilzeitbeschäftigter, eine niedrige berufliche Verweildauer, einen hohen Krankenstand und eine niedrige Zahl an Auszubildenden aus.

Das Problem des Personalmangels in der Pflege stellt sich allerdings differenziert dar. Neben dem absoluten Personalmangel, also der Anzahl an nicht besetzten Vollzeitstellen in den Krankenhäusern, Pflegeheimen und ambulanten Pflegediensten, besteht ebenso ein relativer Personalmangel, der sich aus den zu gering bemessenen Personalschlüsseln in der Pflege ergibt, so dass auch dann mehr Personal gebraucht werden würde, wenn alle Vollzeitstellen besetzt wären, um das tatsächliche Arbeitsaufkommen bewältigen zu können. Ein Teufelskreis – denn häufig steigen Pflegende aus ihrem Beruf aus, weil sie das Gefühl haben, dass sie ihre Arbeit, in der dafür zur Verfügung stehenden Zeit, nicht mehr fachgerecht – im Sinne einer an der Person orientierten Pflege – erledigen können. Alle Sofortprogramme, die mehr Personal in die Einrichtungen bringen sollen, sind daher zum Scheitern verurteilt, wenn nicht ein Systemwechsel erfolgt, der den tatsächlichen Pflegebedarf der zu pflegenden Menschen zum Gegenstand hat. Erst wenn sich die Rahmenbedingungen in der Pflege grundlegend verbessern wird es gelingen Personal dauerhaft an die Einrichtungen zu binden und den Pflegeberuf nachhaltig attraktiv zu gestalten – insbesondere für den Nachwuchs. Dazu braucht es jedoch keine Sofortprogramme, die von politischem Aktionismus und Symbolpolitik durchtränkt sind, sondern einen wirklichen „Masterplan Pflege“.

B: Bewertung des Eckpunktepapiers im Detail
Die Ausweitung der Pflegepersonaluntergrenzen in Krankenhäusern auf alle bettenführenden Abteilungen und die Einführung der verbindlichen Personalbemessungsinstrumente in der ambulanten und stationären Langzeitpflege ist ausdrücklich zu begrüßen. Allerdings lassen sich diese Maßnahmen nicht ad hoc umsetzen, da die Personaluntergrenzen in Krankenhäusern erst noch festgelegt werden müssen (bis zum 30.06.2018), und das zunächst auch nur für die pflegesensitiven Bereiche. Die Festlegung von Personaluntergrenzen in den übrigen Bereichen würde eine Gesetzesänderung – und damit einen erheblichen zeitlichen Vor- und Nachlauf benötigen. Darüber hinaus bilden Personaluntergrenzen jedoch nicht den tatsächlichen Pflegebedarf ab, sondern sollen lediglich dem Risiko für unerwünschte Ereignisse vorbeugen. Sie spiegeln damit nicht den realen Arbeitsaufwand in der Krankenhauspflege wider und können so das Ziel einer bedarfsgerechten Personalausstattung nicht realisieren. Die verbindlichen Personalbemessungsinstrumente in der ambulanten und stationären Pflege müssen ebenfalls noch entwickelt und erprobt werden (bis zum 30.06.2020), wobei im Gesetz nur von „Pflegeeinrichtungen“ die Rede ist und es daher unklar ist, ob der ambulante Versorgungsbereich darin inkludiert ist. Doch selbst wenn diese Instrumente eingeführt werden und – so die Hoffnung – eine Erhöhung der derzeitigen Stellenpläne bewirken, bleibt es offen, woher das zusätzliche Personal kommen soll, da bereits jetzt offene Stellen unbesetzt bleiben.

Dies stellt auch den größten Knackpunkt im Hinblick auf die ansonsten positiv zu bewertende Fortführung des Pflegestellen-Förderungsprogramms für Krankenhäuser dar, bei dem jede aufgestockte Pflegestelle am Bett finanziert werden soll, wobei es fraglich ist was den Bezugspunkt dieser Stellen ausmacht – also ab wann eine Stelle als zusätzlich gewertet werden kann und welche Nachweise dafür zu erbringen sind. Falls sich der Bezugspunkt an den kalkulatorischen Pflegekosten des Gesamtcasemixes der Kliniken orientiert, könnte es schwierig sein, den Status der zusätzlichen Stellen zu erreichen, denn die in den DRGs einkalkulierten Pflegekosten werden nur selten voll für die Finanzierung von Pflegestellen verwendet, da mit diesen Mitteln häufig eine Quersubventionierung anderer Kostenarten erfolgt. Die Kappung der Obergrenze und das Abschaffen des Eigenanteils, bei gleichzeitiger Beibehaltung des Pflegezuschlags für das noch laufende Pflegestellen-Förderungsprogramm könnte für die Krankenhäuser einen ökonomischen Anreiz für die Personalaquise darstellen – und den Wett-bewerb der Häuser um das Pflegepersonal intensivieren. Ebenso zu begrüßen ist die Zweckbindung des Pflegestellen-Förderungsprogramms, um die innerbetriebliche Umverteilung dieser Mittel zu verhindern. Das gleiche gilt für die vollständige Refinanzierung von Tarifsteigerungen für das Krankenhauspflegepersonal, die ebenfalls einer Zweckbindung unterliegen. Das gleiche wäre im übrigen auch für den Bereich der Altenpflege wünschenswert.

Das Aussetzen der Anrechnungsschlüssel ab 2020, und die damit verbundene vollständige Finanzierung der Ausbildungsvergütung der Pflegeschüler*innen für das erste Ausbildungsjahr, ist positiv zu werten, da die zu erwartende Wertschöpfungsleistung der Auszubildenden im ersten Ausbildungsjahr deutlich geringer ausfällt, als es im zweiten und dritten Ausbildungsjahr der Fall wäre. Wünschenswert wäre allerdings eine vollständige Finanzierung der Ausbildungsvergütung über den gesamten Ausbildungsverlauf, da Schüler*innen in erster Linie als Lernende des Pflegeberufs anzusehen sind, einem Berufsstand, der eine systemrelevante Schlüsseldienstleistung vorhält. Als Outcome sollte daher nicht die betriebliche Verwertbarkeit der Arbeitsleistung betrachtet werden, sondern der Beitrag zu der gesamtgesellschaftlichen Wertschöpfung, die durch die Sicherstellung einer bedarfsgerechten und qualifizierten pflegerischen Versorgung der Bevölkerung hervorgebracht wird. Die Finanzierung der Investitionskosten der Pflegeschulen ist ausdrücklich zu begrüßen. Eine einseitige Finanzierung der Krankenpflegeschulen durch den Krankenhausstrukturfonds ist allerdings abzulehnen, insbesondere im Hinblick auf die – im Vergleich zu den Krankenpflegeschulen – deutliche Unterfinanzierung der Altenpflegeschulen, aufgrund der in diesem Bereich bis zum in Kraft treten des PflBG vorherrschenden Finanzierungssystematik. Eine Regelegung, die die Krankenpflegeschulen bevorzugt ist nicht tragbar, gerade vor dem Hintergrund des ab 2020 geltenden PflBG – und der damit verbundenen ein-heitlichen Finanzierung der Pflegeausbildung. Die Altenpflegeschulen hätten so einen klaren Wettbewerbsnachteil, wodurch Ausbildungsplätze verloren gehen könnten. Grundsätzlich ist jedoch die Fortsetzung und der geplante Ausbau des Krankenhausstrukturfonds zu begrüßen, um dem Investitions-stau in den Krankenhäusern entgegenzuwirken, wozu in der Vergangenheit oftmals finanzielle Mittel des Pflegedienstes verwendet wurden. Ebenso begrüßenswert ist die einmalige Kofinanzierung zur Anschaffung von digitaler oder technischer Ausrüstung in Einrichtungen der ambulanten oder stationären Langzeitpflege, mit denen Pflegende entlastet werden sollen, durch die Pflegeversicherung. Allerdings gilt es hier anzumerken, dass die Digitalisierung der Pflege keinesfalls immer eine Entlastung der Pflegenden darstellt und sich die Wartung und Anwendung dieser Produkte ebenfalls als zeitaufwendig erweisen kann (beispielsweise pflegerische Interventionen im Bereich Robotik).

Die Verpflichtung der Krankenkassen, die Informationen zur Pflegebedürftigkeit an die Krankenhäuser zu melden wird als positiv bewertet, da so das Abrechnen des sogenannten Pflegezuschlags er-
leichtert wird, welcher dann für einen höheren Personalschlüssel in der Pflege verwendet werden kann. Die DRG-unabhängige Finanzierung des Pflegedienstes wird ausdrücklich begrüßt, da sich die Logik des DRG-Systems – trotz einiger Nachbesserungen wie die OPS hochaufwendige Pflege oder die OPS Pflegebedürftigkeit – vorrangig an ärztlichen Diagnosen und Prozeduren orientiert, worin sich der pflegerische Arbeitsaufwand nicht verursachungsgerecht abbilden lässt. Ebenso ist die Zweckbindung als positiv zu werten, da so eine Quersubventionierung anderer Bereiche ausgeschlossen wird. Nach dem Eckpunktepapier wird jedoch die „krankenhausindividuelle Pflegepersonalaus-stattung (…) auf der Grundlage der von den Krankenhäusern geplanten und nachgewiesenen Pflegepersonalausstattung“ mit den Partnern der Pflegesatzvereinbarung ausgehandelt. Dies gilt es ausdrücklich abzulehnen. In Zeiten, in denen im SGB XI Bereich verbindliche Personalbemessungsinstrumente zur Ermittlung des quantitativen und qualitativen Personalbedarfs entwickelt werden, erscheint es fast grotesk, wenn im Krankenhausbereich nicht ebenfalls ein valides Personalbemessungsinstrument eingeführt wird, das den medizinischpflegerischen Versorgungsbedarf verursachungsgemäß berücksichtigt. Eine Pflegepersonalvergütung, die sich nicht am tatsächlichen Versorgungsbedarf der Patienten orientiert, sondern am Verhandlungstisch vereinbart wird, ist nicht in der Lage eine bedarfsgerechte Pflege zu realisieren und muss daher vehement zurückgewiesen werden. Offen bleibt, ob die OPS Pflegebedürftigkeit oder hochaufwändige Pflege auch im Rahmen der DRG-unabhängigen Pflegepersonalvergütung bestehen bleibt und dem Pflegedienst zweckgebunden zugeführt wird.

Die teilweise Finanzierung des im Zusammenhang mit der medizinischen Behandlungspflege entstehenden Arbeitsaufwandes in der stationären Langzeitpflege durch Mittel der Krankenkassen gilt es grundsätzlich zu begrüßen, da dies eine lange Forderung des DRK widerspiegelt, nachdem die medizinische Behandlungspflege in stationären Pflegeeinrichtungen aus den Pflegesätzen herausgenommen werden soll. Ebenso wird die Aufstockung der ursprünglich dafür vorgesehenen 8000 Pflege-fachkräfte auf 13.000 generell als positiv bewertet, wie auch die zur Distribution vorgesehene Skalierung nach Einrichtungsgröße, wodurch die Partizipationsmöglichkeiten an dem Sofortprogramm der einzelnen Einrichtungen verbessert werden. Unabhängig davon, dass die Anzahl der geplanten Fachkraftstellen sicherlich nicht dem tatsächlichen Bedarf an Behandlungspflege in den Pflegeeinrichtungen entspricht – und auf keinem validen Personalbemessungsverfahren beruht – ist es fragwürdig, wie diese zusätzlichen Stellen besetzt werden sollen, da auf dem Arbeitsmarkt das dazu notwendige Personal aktuell nicht vorhanden ist.

Die Bemühungen die vertragsärztliche Versorgung der Bewohner*innen in der stationären Langzeitpflege zu verbessern wird grundsätzlich als positiv erachtet. Ob dadurch jedoch Pflegende entlastet werden, sei jedoch erst einmal dahingestellt. Denn in der Praxis könnte es – ohne ein entsprechendes Aufstocken der Stellenpläne durch eine Refinanzierung der zu erwartenden, zusätzlichen Personalkosten sogar ein höheres Arbeitsaufkommen auf die Pflegenden zu kommen. Die bisherige Sollregelung, nachdem Pflegeeinrichtungen Versorgungsverträge mit geeigneten vertragsärztlichen Kooperationspartnern abzuschließen haben wird in eine Pflichtvorschrift geändert. Je mehr Vertragsärzte in die Versorgung einbezogen werden – womit vor dem Hintergrund des demographischen Wandels und der damit einhergehenden Zunahme von Multimorbidität zu rechnen ist – je höher wird der administrative Aufwand für die Pflegenden. Dies gilt es dringend zu refinanzieren, wie auch die zusätzlichen Aufwendungen, die sich durch die neuen Aufgaben der Pflegefachkraft ergeben, die als verantwortliche Person für die Zusammenarbeit mit den Vertragsärzten benannt werden muss. Eine Verbesserung der fachärztlichen Versorgung würde vor allem durch die Finanzierung der Transporte in fachärztliche Praxen erfolgen, da die nötige Diagnostik und Behandlung nicht in den Einrichtungen vor Ort stattfinden kann. Eine erste Anamnese (Erfassung der Problemlage) könnte jedoch bereits in der Einrichtung durchgeführt werden, um den Bewohner*innen unnötige Transporte zu ersparen. Die Personalaufwendungen für die Begleitung von ärztlichen Visiten in den Pflegeeinrichtungen gilt es ebenfalls zu refinanzieren. Begrüßenswert erscheint die Verpflichtung der KVen, innerhalb einer Frist von drei Wochen, entsprechende Versorgungsverträge zu vermitteln.

Die Maßnahmen zur Steigerung der Attraktivität der Pflegeberufe sind als positiv zu werten (höhere Ausgaben der Krankenkassen für Gesundheitsförderung in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, finanzielle Unterstützung von Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen zur Verbesserung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie), wobei ein echter „Masterplan Pflege“ allerdings fehlt.

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